Neufahrzeuge setzen im Innenraum unterschiedlichste flüchtige organische Verbindungen (VOC) frei. Diese können die Gesundheit der Fahrzeuginsassen schädigen. Um herauszufinden, welche VOCs in Fahrzeugen in welcher Konzentration freigesetzt werden, hat das Fraunhofer-Institut die Entwicklung einer befahrbaren Prüfkammer für komplette PKW beauftragt. Diese soll 46-stündige Prüfungen mit intensiver Sonnenbestrahlung bei definierten klimatischen Bedingungen ermöglichen. Weiss Technik hat neben dem Gesamtkonzept insbesondere den Kammerbau, die Klimatechnik und die Sonnenbestrahlung übernommen.
Prüflösung für neue Automotive-Norm
VOCs wie Benzol, Toluol und Styrol werden in Fahrzeuginnenräumen vor allem von Kunststoffkomponenten und Klebstoffen freigesetzt. Um verlässliche Informationen über Art und Menge der emittierten VOCs zu erhalten, werden in Fahrzeugen Emissionstests gemäß DIN ISO 12219-1 durchgeführt. Das Fraunhofer-Institut für Holzforschung erforscht den Einfluss von VOC-Emissionen auf die Luftqualität und führt entsprechende Prüfungen durch. Um zukünftig nicht mehr nur einzelne Komponenten, sondern den Innenraum kompletter PKWs unterschiedlicher Größe testen zu können, beauftragte das Institut die Planung und Realisierung einer neuen Prüfkammer. Das Projekt war eine klimatechnische Herausforderung, da weder Luftführung und Klimatisierung noch die eingesetzten Materialien und die Strahler der Sonnensimulation Einflüsse auf die Messung der VOCs haben dürfen.
46-stündige Prüfung mit hoher Temperaturkonstanz
Die Prüfnorm DIN ISO 12219-1 sieht für die Messung von VOCs in der Fahrgastzellenluft einen mehrstufigen Testzyklus über 46 Stunden mit unterschiedlichen Testphasen vor. Hierzu werden zunächst Prüfkammer und Fahrzeug über 24 Stunden auf die geforderten Standardbedingungen, 23 bis 25 °C bei 50 % relativer Feuchte (± 10 %), konditioniert. Nach einer 16-stündigen Ruhephase wird als Nullprobe eine erste VOC-Messung im Fahrzeuginnenraum durchgeführt. Danach wird das Fahrzeug im Park-Modus über 4,5 Stunden mit einer bis zu 6.000 Watt starken simulierten Sonneneinstrahlung aufgeheizt und eine zweite VOC-Probe genommen. Abschließend wird das Fahrzeug gestartet und nach 30 Minuten bei laufendem Motor und eingeschalteter Klimaanlage oder Lüftung eine dritte Luftprobe genommen. Die Proben werden über spezielle Teströhrchen in Kopfhöhe des Fahrers gesammelt und anschließend in einem Gaschromatographen analysiert. Hierüber lässt sich exakt bestimmen, welche VOCs in welcher Konzentration im Fahrzeuginnenraum vorhanden sind.
Klimakammer ohne Einfluss auf Messqualität ausgelegt
Die von Weiss Technik entwickelte Prüfkammer EmissionEvent ist 3.500 mm hoch, 4.750 mm breit und 8.350 mm tief. Der Prüfraum hat ein Nettovolumen von 67 m3. Bei der Planung war es wichtig, möglichst alle Einflussfaktoren auf das Messergebnis von vorneherein auszuschließen. Aus diesem Grunde wurde die Kammer aus besonders glattem Edelstahl-Spiegelblech in Oberflächengüte R2 gefertigt, um mögliche Adsorptionseffekte von VOCs an den Oberflächen der Prüfraum-Kammer zu minimieren. Darüber hinaus wurde auf den Einsatz von Bauteilen aus Kunststoff, Silikon und Kupfer verzichtet, da auch diese die Messergebnisse verfälschen würden.
Herausforderungen für die Klimatechnik
Die normgerechte Klimatisierung der Kammer und Bestrahlung des Fahrzeugs bringen einige klimatechnische Herausforderungen mit sich. Zum einen ist über den gesamten Testzyklus eine äußerst hohe Temperaturkonstanz mit einer Abweichung von maximal ± 0.1 bis ± 0.5 Kelvin sicherzustellen. Zum anderen müssen Temperaturniveau, Luftmenge und Luftgeschwindigkeit so aufeinander abgestimmt werden, dass keine Luftverwirbelungen entstehen und dass sich kein Kondensat bildet, an dem die VOCs in Lösung gehen können. Für eine besonders gleichmäßige Luftströmung wurde die Luftführung horizontal ausgeführt. Dabei strömt die Luft über Lochbleche mit unterschiedlich großen Löchern in den Kammerwänden langsam und gleichmäßig von links nach rechts durch den Prüfraum.
Infrarot-Bestrahlungssystem für natürliche Sonnenwärme
Für den Park-Modus der Testnorm wird eine Simulation der Sonneneinstrahlung gefordert. Dabei liegt der Fokus auf dem sonnenähnlichen Wärmeeintrag und die Erhitzung des Fahrzeugs. Eine Simulation der UV-Strahlung ist nicht erforderlich. Aus diesem Grunde bot sich der Einsatz spezieller Infrarotstrahler an. Diese werden auf der Prüfraumdecke montiert und durch eine Scheibe aus Spezialglas abgetrennt, um die Beeinflussung der Messergebnisse durch Ausgasungen der Strahler zu verhindern. Die Infrarot-Strahler sichern die sehr homogene Bestrahlung des Fahrzeugs bei hervorragender Steuerbarkeit der Strahlungsintensität. Abhängig von der Größe des geprüften Fahrzeugs können Strahler ab- und zugeschaltet und die bestrahlte Fläche darüber einfach angepasst werden.
Schnelle Inbetriebnahme vor Ort
Vor der Auslieferung Ende dieses Jahres wird die Prüfkammer EmissionEvent zunächst im Weiss Technik Werk in Lindenstruth vollständig aufgebaut, geprüft und in Betrieb genommen. Das stellt sicher, dass die Anlage fehlerfrei funktioniert, und beschleunigt Aufbau und Reinbetriebnahme vor Ort. Frank Becker, Projektmanager bei Weiss Technik ist mit dem bisherigen Projektverlauf sehr zufrieden: „Wir konnten unser umfassendes Know-how aus verschiedenen Bereichen der Prüftechnik optimal nutzen. Das Ergebnis ist die weltweit erste VOC-Testanlage für komplette Pkws.“ In Kürze wird auch eine ähnliche Prüfnorm für VOC-Prüfungen bei Lkws und Bussen erwartet. Mit den Erfahrungen bei der Prüfkammer EmissionEvent für PKW steht Weiss Technik auch damit schon in den Startlöchern.
Maßgeschneiderte Konstruktion für Ganzfahrzeuge
Weiss Technik ist ein erfahrener Systempartner für Prüftechnik im Automotive Bereich. Das Unternehmen bietet Standardlösungen für unterschiedlichste Prüflinge, Prüfszenarien und Prüfnormen sowie kundenindividuelle Sonderbau-Lösungen. Dazu gehören auch kleinere VOC-Prüfkammern für Fahrzeugkomponenten wie Autositze und Lenkräder. Dieses Know-how hat Weiss Technik auch bei der Planung der Prüfkammer für Ganzfahrzeuge genutzt. Weiss Technik plant, entwickelt und realisiert die komplette Prüfkammer, die Klimatisierung mit Temperatur und Feuchte, die integrierte Sonnensimulation, das Abgassystem für Prüfungen bei laufendem Motor sowie die Steuerung der Gesamtanlage.